Magd Sommer erzählt
Liselotte Kratochvil : Quelle Pfarramt Enslingen Dezember 2017
Magd Sommer erzählt
Tummelplatz, Fangspiel und mancher Unfug. Im Alter von 68 Jahren sendet die gebürtige Christine Sommer und frühere Magd einen Brief an den Enslinger Pfarrer Fink. In diesem September 1914 erinnert sie ihn daran, dass das Pfarrhaus „auf unserem Tummelplatz wo Frühling und Herbst die ganze Dorfjugend zusammenkam“ stehe. Das „Fangspiel“, auch „mancher Unfug“ hatten das Zeug, sich Ärger einzuhandeln.
Aus ihrem ungebremsten Schreibfluss zwölf Ereignisse:
Vom Lämmle „Vom Schäfer Lauterwasser kaufte der Vater damals zwei Mutterschafe und das eine hatte Zwillinge und das Mutterlämmle wurde viel vom andern beim Säugen weggestoßen“. Christines Bruder Michael „ging oft und auch Nachts in den Stall um dem Kleinen zu helfen“. Als er einmal „Nachts, man hieß es Vorsetz“ spät heimkam „unterließ er“ den sonst üblichen Blick auf das Lämmle „und Morgens war es steif gefroren“, so dass er es „in die Stube“ brachte. „Mutter sagte: es hat vielleicht doch noch Leben und hüllte es in [einen] alten Wollenrok und schob es ins Öfele. Es war noch ein alter Ofen, das Feuer drin war ausgegangen, blos noch warm“. Als Christine ihre „Zöpf zur Schule“ flocht, stand das Lämmle auf und „spazierte wieder ganz nett in der Stube rum“. Bedenken, dass das Lamm „nicht mit den anderen fortkommen“ könne, da es „weit zurück“ sei zerstreute der Schäfer: er fahre ja wegen den Lämmern immer ganz langsam. Draußen sei es besser als allein im kalten Stall“. Tatsächlich wusste sich das Lamm zu helfen als es „bei einem kalten Schneebutzen zitternd und frierend“ zurückblieb, so dass der Schäfer es „unter seinen Mantel gehüllt“ habe.

Das scheint sich das Lamm gemerkt zu haben, da es „später noch bei Sturm und Regen“ auf den Schäfer „zugesprungen und neben seinen Hund gesetzt“ habe „wie wenn da sein Platz wäre!“
Kein Stern noch Licht. Im Jahr 1867 besuchte Christine Sommer ihre neun Jahre ältere Schwester, die in Eltershofen im Dienst war. „Im Spätherbst mußte ich ihr einmal Schuhe bringen“ berichtet Christine in ihrem Brief an Pfarrer Fink. Ihre Schwester habe so viel zu erzählen gehabt, dass Christine sich losreißen musste um rechtzeitig heim zu kommen. „Schließlich bin ich davon gesprungen“, ein anderes Mal könne ihre Schwester Margarethe weitererzählen, jetzt aber werde es „ ja schon finster, ich find ja den Weg sonst nicht in den Wald“! Und so war es dann auch, da „kein Stern noch Licht“ scheint. „Wie eine Katze mußte ich suchen, ob ich Wiese, Fußweg, Ackerfeld oder Fahrwerk unter den Füßen“ habe.
Gefährlich wurde es „an der großen u[nd] kleinen Brücke“, da nämlich „fehlte kein ganzer Schritt“. Hätte Christine „nicht noch die Mauer verwischt“, sie wäre in den „Kocher gefallen“. Zuletzt orientiert sie sich tastend am „untern Brunnen“ und weiß: „ja ich muß rechts“.
Christine hat Glück und kommt gut nach Hause. „Es war die Nacht“ als ein älterer Nachbar „heim wollte und in die Klinge fiel“. Tatsächlich ist der Ausdingbauer an „Körperverletzung durch unglücklichen Sturz“ gestorben.
Die Näherin Barbara Baumann. In ihrem Brief an Pfarrer Fink erinnert sich Christine, geb. Sommer an ihre Lehrstelle in Enslingen. „Bei Barbara Baumann lernte ich nähen. Sie wohnte in dem kleinen Häusle neben der alten Kelter“. Damals war es üblich bei den Kunden im Haus zu schneidern. So erfuhren sie von der Müllerin Hambrecht hautnah vom Mühlenbrand und dem Albtrauma ihres Mannes, der „nachts 3 mal aus dem Bett gesprungen“ sei und rief „es brennt alles weg“!
Von der Näherin berichtet Christine Sommer, dass diese „sich oft bekümmert, sie sei so allein in dem Häusle u. oft die ganze Woche nicht daheim, wie wird man mich finden – ich kann einmal die ganz Woche todt im Bett liegen“. Barbara Baumann lebte in ihrer 1852 erworbenen Wohnung im „zweistockigen Wohnhaus“, wovon der untere Stock mitsamt dem Areal zur Kelter gehörte. Einmal machte sie sich trotz ihres Unwohlbefindens in einen Enslinger Haushalt zum nähen auf. Sie teilte der Hausfrau mit, dass es ihr „schlecht“ sei. „Leg dich auf mein Bett ich will dir geschwind Kaffee bringen“ rief die Kundin „Lene“. Als sie zurückkam „war sie schon gestorben“. Barbara Baumann starb am 10. Juni 1881 im Alter von 53 Jahren 9 Monaten und 9 Tagen an Hirnschlag.
Tödlicher Unfall. Von einem tödlichen Unfall berichtet Christine Sommer in ihrem Brief an Pfarrer Fink. Es passierte „dort wo das Pfarrhaus steht“ und wo man seinerzeit in den Wiesen „viel Leinwand gebleicht“ habe. Dort war auch ein „Brunnen zur Vieh oder Pferdetränke“. Der Kaufmannswagen, „damals hieß es Gutwagen“ war in Enslingen nicht fremd. Er sei öfters die Straße entlang gefahren und habe hier zum Pferde füttern und tränken pausiert. Beide, Kaufmannssohn und Knecht waren katholisch.
Der Knecht bemerkte, dass „dem einen Gaul das Eisen los“ sei und man deshalb in Enslingen halten solle. Der Kaufmann jedoch meint „deß hält woll bis Münkheim“ wo man „dem Wirth seine Gäul zum Vorspann“ nehme.
Das Unglück passiert „dort bei Riegers“ als der Knecht fiel. Zeugen bemerkten, dass er „nicht einmal gestolpert, sondern blos umgefallen“ sei. Das Hinterrad ging über seinen Kopf. „Der schnell gerufene Arzt konnte nicht sagen, ob eine Ohnmacht oder Hirnschlag“ vorliege. Jedenfalls müsse er in Enslingen begraben werden. Man trug den Toten „in den Unterraum auf das Rathaus“, der Kaufmann „blieb im Wirtshaus“.
Punkt für Punkt beschreibt Christine die damalige Situation:
Schultheiß Röger schickt den Totengräber zum Pfarrer. Weil aber der Tote „nur ein Knecht sei“ stellt sich die Frage „ob man den jetzt auch ins Eck begraben soll“. Pfarrer Bauer verneint. Er werde in Reih und Glied beerdigt „wir hätten nicht das Recht die Todten zu richten“.
Dann ging der Pfarrer zum Lehrer. „Weil die Leiche gerade auf den Sonntag falle soll die ganz große Schule singen“, auch „soll man mit allen Glocken läuten“.
Zur Bestattung kamen viele von Braunsbach und von Steinbach sind „viele Katholiken“ eingetroffen. An diesem Sonntag „war ein heller Sonnenschein und so windstill, man hätte auch außer der Mauer alle Worte“ verstanden, schreibt Christine Sommer.
Die Form der Bestattung wurde kontrovers diskutiert. „Etliche sagen: so, jetzt kann der Kaufmannsohn in Ellwangen erzählen wie man bei uns ein Leichenbegräbnis hält“, andere aber „schimpften recht“ man hätte es so wie sie es selbst halten sollen.
Der „Fuhrknecht in Dinkelsbühl“ heißt Georg Jäger, gebürtig von Ellwangen, 53 Jahre alt und ledig. Das Totenbuch nennt „Zerquetschung“ und Stillstand „der Atmungsorgane“ als „das Rad seines Fruchtwagen am Beginn des hiesigen Ortes über ihn wegging“. Georg Jäger starb am 28. Februar 1862 um 5 ¼ Uhr morgens. Die Bestattung war am 2. März um 11 Uhr Mittag.
Vom „Name und Geburtstag 1858“. Von einer Episode ihrer Schulzeit in Enslingen berichtet Christine Sommer in ihrem Brief an Pfarrer Fink.
Im Unterricht bei Lehrer Hornberger 1858 „mußten wir in der Schule Name und Geburtstag sagen“ schreibt Christine. Damals war sie, 1846 geboren, zwölf Jahre alt.
Einer ihrer Mitschüler habe mit „Ruf- und Geschlechtsname Ludwig“ geheißen. Auf die Frage des Lehrers, wann er geboren sei musste der Schüler passen. Daraufhin schickte ihn der Lehrer heim zu seiner Mutter um seine Geburtsdaten zu erfragen.
Conrad Michael Ludwig ist 1855 mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester von Gnadental nach Enslingen gezogen. Der Vater war bis zu seinem Tod am 1. Juli 1857 im Arbeitshaus Ludwigsburg beschäftigt.
Kaum zurück in der Schule habe Michael bereits „unter der Thür“ gerufen, dass er „im Kirschenpeter!“ zur Welt gekommen sei. Als der Lehrer nichts damit anfangen konnte sprang „Michael Birk von Schönenberg“ für seinen Klassenkamerad ein. Kirschenpeter, „so heiße im Volksmund der 29. Juni weil um die Zeit die Kirschen reifen“.
So war es dann auch. Conrad Michael Ludwig wurde in der Kirschenzeit am 25. Juni 1846 geboren und am 22. April 1860 in Enslingen konfirmiert. Nur zwei Jahre danach verstarb seine Mutter 1862 im Alter von 57 Jahren an „allgemeiner Wassersucht“.
Der ehemalige Schüler Conrad Michael Ludwig heiratet 1873 und verzichtet schließlich durch Wegzug auf das Bürgerrecht in Enslingen.
Eisenbahn und Italienisch. Christine Sommer wurde in Tullau geboren. Von dort ging ein Fußweg am Kocher nach Steinbach und Hall, doch „öfters bei großem Wasser konnte man nicht fort“. Kein Wunder, dass sie von einer hohen Brücke, „dort auf der Stelle wo die Tullauer Eisenbahnbrücke ist“ träumte, auch eine breite Straße, die durch den Wald gebaut worden sei, kam in ihrem Traum vor. Da seien viele Wägen mit Fenstern an einander gehängt und lauter fröhliche Menschen winkten zum Fenster heraus und riefen „Komm mit“!
In der Wirklichkeit wurde „anno 1861 an der Eisenbahn gebaut, von Hall nach Heilbronn“. Ihre Schwester Margarethe war derzeit im Dienst in Sülz nahe bei Gottwollshausen. Dort war eine italienische Familie im Haus untergebracht. Der Vater arbeitete mit seinen drei Kindern, einer Tochter und zwei Söhnen, an der Bahnstrecke, wo sie „von dem vielen Erde schäufle und Rollkarren fahren“ ohne Strümpfe wunde Füße bekamen.

Auch hatten sie „sehr zerrißene Kleider“.
Von ihrer Mutter bekam Margarethe den Rat, dem Mangel durch Stricken und durch nähen abzuhelfen. Die italienische Frau nämlich lag schwerkrank im Bett. Gesagt getan. „Unter einem großen Nußbaum war eine Bank“, dort „strikten und flikten sie“ gemeinsam in der Abendstunde.
Anfang des Winters wurde die italienische Arbeiterfamilie vom Aufseher nach Weinsberg geschickt. Margarethe und ihre italienische Freundin „schieden mit Thränen und Kuß“.
Christine erzählt, „gesehen haben sie sich nimmer“ aber „meine Schwester hat viel von der lateinischen Sprach gelernt“. Dieses Wissen verlor sie ohne Übung wieder, eines aber blieb: das lateinische zählen!
Wo man mit „Pulfer“ die Felsen sprengte. Christine Sommer ist viel herumgekommen. In ihrem Brief an Pfarrer Fink berichtet sie von ihren Erfahrungen. Eine Passage handelt vom damaligen Gleisbau:
„Anno 1868 ging ich mit Anna Hof nach Michelbach bei Hall um nach Milchhäfen zu fragen, damals wurde die Eisenbahn nach Kraislheim baut! In Steinbrück sagten wir, es ist ja Sonntag u[nd] wird heut nicht geschafft, wir wollen auch einmal sehen wie man Eisenbahn baut! U[nd] wir gingen die Strecke durch den Wald herein u[nd] über die Tullauer Brück u[nd] oft bleiben wir staunend stehen wie ist es möglich durch diese Steinfelsen ein[en] solch breiten Weg zu machen! Alle 5 – 6 Schritt ein schwarzes Bohrerloch wo man mit Pulfer die Felsen sprengte“!
Wieder zurück in Enslingen berichtet sie ihrer Mutter von ihrer Beobachtung. Damit hat sie ihre Mutter angesteckt, „die sagte, wenn ich nochmals so weit laufen kann will ich’s auch noch sehen!“
Ihr Wunsch sollte im Herbst 1870 in Erfüllung gehen als sie von der „neuen Straße herein auf den Haller Bahnhof“ ging. Christine Sommer berichtet: „Am liebsten wär’s ihr gewesen, wenn sie mit der Bahn nach Enslingen hätt‘ fahren können“. Ihre Mutter sei „sehr müde“ nach Hause gekommen.
Wenig später starb Christine Barbara Sommer am 20. November 1870 im Alter von 61 Jahren an Lungenlähmung.
Probieren geht über studieren. Christine Sommer lässt ihren Erinnerungen freien Lauf. Sie erzählt von einem Besuch bei Verwandten und gleich darauf von einem eindrücklichen Erlebnis daheim in Enslingen.
„Anno 1859 ging ich am Palmsonntag nach Tullau“ das „Patengeschenk zu holen“. Nach dem Mittagessen stellte ihr der Vetter einen „Krug voll Wasser auf den Tisch“ und verabschiedet sie mit den Worten „so Mädle jetzt trink u. sag deiner Mutter ein schönen Gruß“.
Für die Erzählerin ist der Wasserkrug ein Stichwort, sie berichtet. „Diesen Winter“ ist daheim „bei Schneesturm ein Mann“ gekommen, „er sei Brunnengräber“, sagte er. Der Fremde befand sich in einer äußerst misslichen Lage. Er „habe Sommer und Herbst nichts verdient“ und besaß „kein Kreuzer mehr“, ins Wirtshaus könne er nicht gehen, sodass ihm mehr nach einer Übernachtung im Stall als nach „einem Stück Brot“ ist. Christine Sommer erwähnt ein „Bett, droben im Boden“, das „man mit einer Flasche wärmen könne“.

In dieser Nacht und am nächsten Morgen „warf es einen großen Schnee“, so dass der Hausherr meinte „bei solchem Wetter jage man kein fremde Hund naus“, der Mann solle da bleiben bis auf den Straßen wieder Bahn sei.
Da könnte man Wasser finden. „Am 4. Tag schaute der Mann zum Fenster naus“ und sprach von seiner Entdeckung. „Ihr habt vor dem Haus im Garteneck einen großen Holderbaum, ich wollte wetten, da könnt man Wasser finden“.
Das erinnert Christine an einen Traum ihrer Mutter, sie eilt zum Nachbarn und findet auch ihn interessiert: „probieren geht über studieren“ meinte er, denn „wir versäumen ja wirklich nichts“ man wolle „auch helfen“, denn „wenn wir Wasser finden, gehört uns beiden der Brunnen“.
Es scheint geklappt zu haben: „viel und gutes Wasser haben wir jetzt“.
„…nach der sinkenden Abendsonne gukt.“ Da man „mit der Ernte fertig sei“ wechselt Christine Sommer 1863 ihren Arbeitsplatz.
Ob „sie niemand brauche“ fragte sie ihre Sitznachbarin und Kleinmagd in der Sonntagsschule. Es hat geklappt. Dank der Kleinmagd Rosine Wagner wird Christine auf dem gleichen Hof als Großmagd angestellt. Die Bäuerin sagte zu ihnen Beiden: „ihr seid ja Kameraden von einem Dorf und könnt beisammen schlafen“.
Am nächsten Morgen, es „war noch Dämmerung“ begann die Arbeit mit „Fruchtabladen 2 große Wagen voll“. Ganz trittfest war die neue Magd noch nicht. „Ich soll 2 Garben auf einmal an die Hacken hängen, ich stieg die an den Wagen gelehnte Leiter hinauf und als ich oben vorwärts ging schlug ich den Kopf so an den Balken“, dass, „wenn ich mich nicht an den Garben noch festgehalten hätte, wär ich rücklings nuntergefallen“.

Auch danach ging ihr die Arbeit nicht leicht von der Hand. Es „ging auf den Aker und als das Morgenvesper kam – hätt ich am liebsten schon nach der sinkenden Abendsonne gukt“. Vom „lange die Sichel in der Hand halten konnte ich keinen Finger mehr gleich machen“. Mit Blick auf die Kleinmagd ist sie dann doch nicht „mitten in der Woche davongelaufen“. Immerhin sei sie „ein Kopf größer“ als Rosine, die sich allerdings bei der Bäurin über Christine beschwerte: „zu der geh ich nicht mehr ins Bett, wenn ich die Decke noch so fest am Zipfel pak, reißt die noch ärger“ und das „ganz dekbett fliegt naus“.
Zum Schluss sagte die Bäurin am „Samstagabend“: „wo man die Woche über schafft ißt man auch am Sonntag“, so dass Christine sich „daheim noch gut anziehen“ könne „zur Kirch und nachher zum Mittag essen kommen“ möge. Für ihre „Eltern gab die Bäurin ein ¼ Stück vom weißen Brod und ein schönen Gruß sie sollen mich wieder kommen lassen“.
Auch das hat geklappt: „und ersten Oktober bekamen sie wieder eine Großmagd“.
Ein Glas voll Arznei. Es fehlte nicht viel und die Mutter von Christine Sommer wäre von ihrem Elternhaus in Tullau fort in den Dienst oder „heimlich ins Kloster“ gekommen. Aber es kam anders.
„Die Stunde schlägt einmal, wo sich Alles ändert“ berichtet Christine in ihrem Brief an Pfarrer Fink. Ein Heiratsantrag führte ihre Mutter nach Enslingen, ein Dorf mit Weinbergen. Leider, von 1837 bis 1857 hat es keinen großen Weinherbst gegeben.
Als sie im Wochenbett schwer krank wurde besorgte ihr Ehemann „ein Glas voll Arznei“, davon sollte er ihr „stündlich ein Kaffeelöffele voll geben“. Morgens zeigte die Patientin dem Doktor das leere Glas, „auf die Brüh sei es ihr zum sterben schlecht worden und sie habe gedacht ‚Vogel friß oder Sterb‘, dann habe sie alles auf einmal den Hals runter geschüttet.
Als sie in der nächsten Woche dem Doktor auf dem Weg begegnete rief sie „freundlich grüßend“, er habe Recht gehabt, sie brauche keine Arznei mehr. Sie sei wieder gesund!
Es hörts ja Niemand. In ihrem Brief an Pfarrer Fink in Enslingen erzählt Christine Sommer von Erinnerungen der Familie und eigenen Erfahrungen.
Als Magd kommt sie weit herum und ihr Interesse führt sie in einige Orte und Situationen.
Weil eine „gnädige Offiziersfrau nicht bei jeder Wäsch eine fremde Nähere im Haus will“ bleibt Christine als „Dienstmädle bis fast Mitternacht“ bei ihr und „flikt“. In solcher Atmosphäre „fallen alle Standesunterschiede weg, es hörts ja Niemand, man braucht nicht gnädige noch Sie, man kann auch Du sagen“, so erfährt die eine von der anderen „den ganzen Lebenslauf“!
Statt Himmelfahrtsblümle. Einmal wurde sie von ihrer Mutter „an Himmelfahrt nach Steinbach in die Stiftskirch“ geschickt „statt den ganzen Tag Himmelfahrtsblümle zu suchen zu Kränz“. Dort sollten sie sich „auch niederknien“ wie die dortigen Gottesdienstbesucher, „wenn ihr euch nicht auffallend benehmt schicken sie euch nicht naus“. Zwar wurden sie bemerkt und auch „Naseweise“ genannt, „aber, gefallen hats uns! Und im andern Jahr gingen wir wieder naus“, Christine Sommer kann sich nicht mehr erinnern ob die „Schorre oder Hof oder wer noch dabei gewesen“ sei.
Werdegang in Enslingen. Christine Sommer wurde in Enslingen als 5. Kind der Eheleute Michael Sommer und der in Tullau gebürtigen Barbara am 10. Mai 1846 morgens zwischen 6 – 7 Uhr geboren, getauft wird sie am 11. Mai vom damaligen Pfarrer Ernst Friedrich Rapp.
Bei ihrer Konfirmation am 22. April 1860 mit Pfarrer Bernhard Bauer war Christine eine von insgesamt 11 Konfirmanden, vier männlich und sieben weiblich. Im Alter von 29 Jahren verheiratet sie sich am 23. November 1875 mit Friedrich Becker, Weber in Waldenburg.
An Pfarrer Fink wendet sich Christine Becker, geb. Sommer am 2. September 1914 mit einer Bitte. Inzwischen 68 Jahre alt will sie „meine alte Heimat noch einmal sehen.“ Vor allem aber wünscht sie „Bitte! Bitte“, dass Pfarrer Fink ihr „Schreiben nicht bei Seite werfen sondern“ darin „lesen“ möge. Ihr Brief ist gut erhalten und im Pfarramtarchiv Enslingen verzeichnet.
Ein aufgehobener Finger. Ein Ereignis auf der „Leiche“ 1867 fällt anders aus als Christine Sommer dachte.
„Mehrere Leut werden sich noch erinnern an die Remmelis Grete, geistesschwach, eine Närrin u. Glatschbase“, sie habe den „jungen Pfarrer“ wissen lassen, „daß sie von Napoleonszeit von Franzosen sei“.
Bei ihrem Tod ging „wer halbwegs Zeit hatte zur Leiche“, denn „jedes wollte sehen wie der Pfarrer die alte Grete herunterhechelt“.
Bei der 1867 Verstorbenen handelt es sich um das 1828 geborene „Spur“ Kind Catharina Barbara ihrer ledigen Mutter Anna Margaretha, Georg Michael Schweikerts hinterlassene Tochter aus dem einst „Remmele’s“ Haus. Die unehelich Geborene starb im Alter von 39 Jahren an Nierenzehrung.
Und „still ging alles heim“. Den Leichentext des Pfarrer Adolph Kraus beschreibt Christine Sommer mit den Worten: „aber da hörte man eine Predigt, wie solche Kinder oder Leut ein aufgehobener Finger sei: es könn ja Niemand seine Kinder schwarze oder blonde Haare geben u. Jesus habe weder die Ehebrecher noch die Samariter verdammt“ und „still ging alles heim.“
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Serie „Ortsgeschichte Enslingen“ Serie im Rathausboten 2017